Daniel Kötter

My private Amiland

Television mit Liedern für 2 Sänger, 2 Stimmperformer, Raum und Video

Sächsische Staatsoper Dresden
Kleine Szene - Juni-Oktober 2006
 
mit Christoph Ogiermann, Jennifer Walshe, Christiane Hossfeld, Matthias Henneberg
 
 
We all live in Amiland?
 
Philosophische Video-Spielereien von Daniel Kötter
 
Kritik von Uwe Schneider
 
Ob wir nun alle im bekannten „yellow submarine“ der Beatles leben, oder doch in „America“, wie die deutsche Rockband Rammstein zum selben Melodie- und Akkordanfang behauptet und damit eine amerikanisch geprägte Globalisierung kritisiert? War für die Beatles im selben Album (Film) „all you need“ nur noch etwas „love“ (und LSD), so ist das beim Rammstein-Hit, der den ersten Teil von Daniel Kötters handwerklich furiosem „My private Amiland. Tele-Vision mit Liedern für Sänger, Performer, Raum und Video“ in Dresdens „Kleiner Szene“, der Werkraumbühne der Semperoper, beendet, doch schon etwas schwieriger. Denn Amerika ist überall. Im Kopf, in Sachsen, im Fernseher.
 
„Willkommen – im Kopf wenigstens“
 
 Es geht um die mediale Suche nach „Amerika“, einen Ort, den es für viele vielleicht gar nicht gibt, weil er mehr Idee ist, als Realität. Neunzig zumeist unterhaltsame, kurzweilige und abwechslungsreiche Minuten beschert uns Kötter mit seinen clever inszenierten und effetsicher geschnittenen Videoszenen und ihrem dialogischen Verhältnis zu real gespielten Songs und Texten. Die beiden Dresdner (Opern-)Sänger Christiane Hossfeld und Matthias Henneberg, die beiden Multitalente Jennifer Walshe und Christoph Ogiermann sowie Michael Lüdicke am Klavier ergänzen das produktive Autoren- und Performer-Team.
In einer Collage der Klischees und Vorurteile, der Lable-Fetzen und Banalphilosophien des täglichen Lebens spiegeln sie uns ein Amerika vor, das wir alle zu kennen glauben. Eine drohende Beliebigkeit wird dabei formal aufgefangen durch Spiegel- und Umkehrverhältnisse. Das deutet schon der spiegelförmig ausgestaltete Raum mit TV-Geräten an, in dem sich die Zuschauer in zwei Hälften gegenüber sitzen. Das markieren die als running gag verwendeten Rückwärtsschreibweisen zentraler Begriffe, die durch Wiederholung und verschiedene Perspektivisierungen ihren deutlichen semantischen Sinn verlieren. Aus Amerika wird dann eben AKIREMA – und signalisiert sofort: es gibt nur gespiegelte Bedeutungen. Spielerisch wird semantische Ironie verwendet, wenn im Sprecherquarett nur noch Wortfetzen übrig bleiben oder wenn Jennifer Walshe Fetzen der amerikanischen Popmusik zu einer neuen Komposition fügt: „Diamonds are a girls best material“, meint sie so beispeilsweise als Marilyn-Madonna.
Texte, Ton, Bild, Raumklang, Verfremdung, live act, Publikumsreaktion, alles kreist um ein Verständnis von Amerika. Denn Amerika ist überall. Amerika ist ganz bestimmt (nicht) echt und real – und daher nennt man es an diesem Abend „Amiland“.
 
The american dream
 
 Persönliche statements der beteiligten Künstler ergänzen die Interviews sächsischer Reisender und die Video-Fahrt in den sächsischen Ort Amerika, der in der Nähe von Lunzenau liegt, wie ein Verkehrsschild verrät. Vordergründig ist das die Um- und Einkreisung eines Begriffes, einer Idee, eines Themas. Doch „My native land is a dream“, wusste schon Charles Ives in einem seiner Songs. Und Dresden übrigens auch, wie in gedanklicher Spiegelung gezeigt wird, denn ein Dresden gibt es auch in Ohio und in Tennessee und in New York usw. – auch das scheint kein eindeutiger Ort zu sein. Die Kopie erweist sich schnell als das Reale an diesem Abend, ebenso wie die live-Videobilder der Mitwirkenden, die immer wieder auch im Raum nebenan live sprechen und musizieren.
Daniel Kötter ist bei seinem Generalthema: der medialen Vermittlung und zeitgleichen Sinnentleerung von semantisch eigentlich eindeutigen Entitäten. Das trägt den Abend in der am Premierenabend unter drückender Südstaatenhitze leidenden Kleinen Szene - auch weil das theaterästhetisch neu ist für Dresden und seine Zuschauer. Das stilistische und dramaturgische Inventar der Macher des Abends reicht locker für die anderthalb Stunden. Immer wieder gewinnen sie dem Thema neue ironische Brechungen ab, neue Perspektivierungen und neue Spielereien. Im Grunde steuern sie auf eine naive Begrifflichkeit natürlicher semantische Zusammenhänge. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, wusste schon Schiller als er sich dem Naiven und Natürlichen annäherte - und Daniel Kötter ist dem wirkungsästhetisch verpflichtet.
So geht es an diesem Abend (eben im Spiegelschluß) um die Ergründung des Subjekts, das einen Begriff wie „Amerika“ so sehr mit Bedeutungen anreichert, bis der nicht mehr eindeutig fassbar ist. Allem medialen Wirbel, allen akustischen und optischen Reizen zum Trotz, Kötter und seine Mitstreiter kreisen das Verhältnis des Subjekts zu seinem Gegenstand ein. Ein semantisch so stark angereicherter Begriff wie „Amerika“, ist immer auch ein „privater“ Begriff. My private Amiland. Bestimmt wird dabei aber viel mehr das Private des betrachtenden Subjekts, als sein betrachtetes Objekt.
Jennifer Walshe, die mal als Cowboy, mal als Marilyn-Madonna verkleidet durch die Dresdner Stadt zieht, Matthias Henneberg, der wie ein Easy Rider auf einer Harley die Elbe entlang fährt, Christiane Hossfeld, die am Dresdner Flughafen von der Sehnsucht Butterflys nach ihrem Ami-Offizier singt, sie sind die Subjekte die unser aller Ami-Klischees in einen öffentlichen Raum tragen, der diese als solche gar nicht zu erkennen vermag – denn die Reaktionen der Passanten bleiben aus. Die Perspektiven werden unwichtig, wenn das verbindliche Bezugssystem fehlt – wo geht es raus, will Christoph Ogiermann daher populärphilosophisch wissen?
Doch wie die Verbindlichkeiten finden, wenn schon die Übersetzungen versagen, wie immer wieder lustvoll vorgeführt wird, wenn die gesungenen Lieder auf Schrifttäfelchen wörtlich-naiv übersetzt werden. Oder wenn Ives gar einen Text Heines auf deutsch vertonte. Muß die Übersetzung dann konsequenterweise nicht „I grolle not“ heißen? Wir sind schon wieder bei den Spielereien, den absichtlichen Mißverständnissen und den Spiegeleien der Bedeutungen. Kötter spielt und er spielt mit uns und wir sind dabei ganz Mensch in unseren Zuschauerreaktionen.
 
Rezeptionssteuerung
 
 Das Spiel hat einen banalen Höhepunkt, der fast alle irritiert und verwirrt. Er folgt nach der Pause, dauert eine viertel Stunde und ist nichts anderes als Geräusche und weißes Rauschen auf den Bildschirmen. Philip Corners ‚war cantata’ „Oracle“, eine elektronische Toncollage aus den 1960er Jahren, die sich mit den Klängen des Kriegs auseinandersetzt und dem Publikum die Suche nach akustischen, rhythmischen Mustern und seriellen Prinzipien abnötigt, wird für das Publikum zur unfreiwilligen Selbsterfahrung. Zwischen Trommelfeuerfetzen, Stille, Maschineriebeschallung und Erwartungshaltung wird das Publikum bei Kötter, der parallel dazu weißes Rauschen auf die Bildschirme schneidet, Teil einer Installation. Und viele machen dabei das, was das Fernsehen als Ami-Massenmedium, dem man im ersten Teil des Abends aufmerksam folgte, um die Wahrheit über das reale, echte Amiland zu erfahren, erfordern würde: sie schalten ab. Innerlich.
„The answer is watch a lot of TV“, hatte es zu Beginn des Abends geheißen – klüger, das hat der Videomanipulator Kötter gezeigt, macht das wahrlich nicht. Aber es führt zurück zum Menschen, der sich selbst wahrnimmt – oder eben auch nicht. Schließlich leben wir eben doch alle lieber im „yellow submarine“ als in Rammstein. Nein nicht die Rockband, sondern das „größte Amiland außerhalb von Amiland“ (Jennifer Walshe), ist hier gemeint. - Oder?