pass_PORT
pass_∏OPT versammelt in acht eigens für das Projekt konzipierten Uraufführungen die unterschiedlichen kulturellen Identitäten und künstlerischen Erfahrungen von sechs Musikern, vier Komponisten und einem Dramaturgen und Videokünstler, von elf jungen Künstlern aus Mazedonien, der Ukraine, Deutschland und Brasilien zu einem gemeinsamen musiktheatralen Ereignis.
Die tiefgreifenden Änderungen im kulturellen und politischen Antlitz Europas der letzten 15 Jahre haben sich in den Biographien und künstlerischen Entwicklungen jedes einzelnen Ensemblemitglieds auf unterschiedliche Weise eingeschrieben. Der Ort der Uraufführung im Oktober 2004, das Festspielhaus Hellerau bei Dresden, nur wenige Kilometer entfernt von der alten Ostgrenze der EU, spricht von den Ursachen dieser Entwicklungen: Konzipiert als Räumlichkeit, in der die traditionellen Grenzen der einzelnen Kunstgattungen flexibilisiert werden sollten, wurde Hellerau schnell von den Nazis und später den Sowjets als Lazarett und Kaserne zweckentfremdet.
Diese Geschichte(n) im Hinterkopf widmet sich pass_∏OPT den Übergängen: räumlich zwischen dem Außen und Innen, musikalisch durch Überleitungen, die die unterschiedlichen Klänge der verschiedenen Kompositionen elektronisch miteinander vermitteln, und visuell durch den Einsatz von Video: Es setzt in Bewegung, was die statische Raumgrenze zu trennen versucht.
„Grenzerfahrungen“
„Grenzerfahrung“ ist im deutschen Sprachgebrauch ein etwas aus der Mode gekommenes Wort. Schließlich war dem Begriff seit dem Fall der innerdeutschen Grenze seine konkret-politische Manifestation abhanden gekommen. Und erst recht, seit in Schengenland alle herkömmlichen Urlaubsregionen ohne Reisepass und mit ein- und derselben Währung zugänglich sind, bezeichnet das Wort meist nur noch obskure Erweiterungen des privaten Erlebnishorizonts. Wenige Kilometer gen Osten jedoch sieht die Reisewelt noch anders aus: Wer von Dresden mit dem Auto in die Hauptstadt Mazedoniens auf dem Balkan und zurück fährt, passiert 14 Grenzkontrollen, genau so viele wie derjenige, der von Dresden über Gibraltar nach Kapstadt, Südafrika, fährt („Crossings“, Videoinstallation im Eingangsbereich).
Die Teilnehmer des „Musikstipendiums Hellerau“ (?) trafen sich auf Einladung des Europäischen Zentrums der Künste im Oktober 2003 zu einer ersten Arbeitsphase im Festspielhaus Hellerau. Der Auftrag: Entwicklung eines gemeinsamen Musik-Projekts zur Förderung der kulturellen Verständigung zwischen West- und Osteuropa. Doch schon die verschiedenen Reisearten und -wege ließen die Gegensätze ahnen, die hier aufeinander treffen sollten: Man kam mit der Tram aus Dresden-Gorbitz, mit dem ICE aus Hamburg, Berlin, Freiburg und Köln oder in mehrtägiger ermüdender Bus-Reise aus Odessa und Skopje. Jede anfänglich naive Hoffnung auf einen reibungslosen interkulturellen Austausch ging in den mühsamen Übersetzungsvorgängen zwischen Ukrainisch, Russisch und Mazedonisch, Englisch, Sächsisch und Hochdeutsch verloren. Und die Idee der Musik als verbindende Welt-Sprache? Eine reine Utopie angesichts der Unterschiede in politisch-biographischer Programmierung und künstlerischer Ausrichtung. An welcher Stelle berühren sich die Erfahrungen aus der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft mit denen des zusammenbrechenden Sowjetimperiums, wo die unmittelbaren Eindrücke des Balkankrieges und seinen territorialen Zersplitterungen mit dem vermeintlichen Aufbruch in wiedervereinigt-blühende Landschaften? Wir hatten keine gemeinsame Geschichte zu erzählen. Aber genau das ließ sich zweifellos konstatieren.